LegIT

Der volkssprachige Wortschatz der Leges barbarorum

Wörterbuchangabe baiwarius (RGA)

Wörterbuch Beck, Heinrich/Brather, Sebastian/Geuenich, Dieter/Heizmann, Wilhelm/Patzold, Steffen/Steuer, Heiko: Germanische Altertumskunde Online. Kulturgeschichte bis ins Frühmittelalter - Archäologie, Geschichte, Philologie. (2010). Berlin, Boston: De Gruyter.
Inhalt

Der Name Bajuwaren ist seit dem 6. Jahrhundert als Gruppen-, Personen- und Ländername bezeugt und zeigt in der frühmittelalterlichen Überlieferung einen großen Variantenreichtum. Ein Teil der Namenvariation ist mehr oder weniger weitgehender Latinisierung zuzuschreiben, die teils nur die Flexionsendung (lateinisch -i(i) statt althochdeutsch -a beim Völkernamen), teils aber, wie in Baiovarii auch die ganze Wortbildung betrifft. Varianten mit inlautendem in nicht-palataler Umgebung (Bogari, Pagoarii, Baguvarii) sind als romanische Interferenzformen zu werten. […] Der volkssprachigen Sprachwirklichkeit kommen dagegen die in der Überlieferung dominierenden Varianten Baioarii, Paioarii, Baiuuari sowie Peigira, Peiari am nächsten.

Bei den Namen auf -varii handelt es sich um latinisierte Komposita, deren Zweitglied Nominativ Plural *warjōz sich als Nomen agentis zu germanisch *warja- 'verteidigen, wehren, abhalten' (gotisch warjan, altnordisch verja, althochdeutsch werren) stellt. Die Bedeutung des zugrunde liegenden Verbs ist alt und muss schon für das Indogermanische als 'aufhalten, abwehren' angesetzt werden (Rix 2001, S. 684f.). Die paradigmenbildende Produktivität dieses Kompositionstyps mündete schließlich im Typus der neuhochdeutschen Bewohnerbezeichnungen auf -er (Italiener, Stuttgarter, Frankfurter). Diese Funktion könnte zwar als okkasionelle Komponente schon in der Antike präsent gewesen sein (so bereits Grimm 1848, S. 781); der Ansatz eines usuellen Bedeutungswandels (etwa 'Männer'; Pohl 1999, S. 92f.) verbietet sich allerdings wegen der formalen Durchsichtigkeit des daneben stehenden Verbs *warja-. Der hin und wieder anzutreffende Ansatz einer Wurzel *u̯er- 'besitzen, bewohnen' (Polenz 1961, S. 204ff.) beruht auf einer Fehlinterpretation der altenglischen Vertreter dieser Namengruppe wie Dornwa(e)re, Cantwa(e)re usw. […] Für die Präsenz der Kernsemantik 'wehren' könnten auch jene Varii-Namen sprechen, die einen Völkernamen im Vorderglied enthalten. Von diesen wurde teils angenommen, es handle sich um Wortbildungsellipsen („Klammerbildungen“, ursprüngliche Dekomposita, in welchen das komponierte Vorderglied gekürzt wurde); als intendierte, vollständige Form des Vorderglieds sei ein komponierter Ländername anzusetzen. Einige Indizien sprechen jedoch dafür, dass zumindest in bestimmten Fällen, insbesondere bei den Chattuarii und Ripuarii, weniger Bewohnerschaft als vielmehr Wehrhaftigkeit das Namengebungsmotiv bildete, so dass auch Völkernamen als direkte Konstituenten denkbar wären (Rübekeil 2010, S. 240ff.).

Bereits im Frühmittelalter wurde der Name der Bajuwaren auf den der keltischen Boier bezogen und die Namenträger teils mit diesen gleichgesetzt (Belege bei Zeuss 1837, S. 379f.). Auch die neuere sprachwissenschaftliche Forschung geht überwiegend von einem etymologischen Bezug zum Boiernamen aus. Es gibt jedoch alternative Erklärungsversuche, die sich teilweise auf die Schreibung mit morphemauslautenden im ersten sowie anlautendem im zweiten Namenelement berufen und Sprachkontaktphänomene einbeziehen […]. Hier seien als wichtigste Deutungen erwähnt:

1) volksetymologische Umbildung einer romanischen Bezeichnung der Salzburgregion (Pagivari ← Pagus Iuvavus […])

2) volksetymologische Umbildung einer Vorlage aus keltisch *Boio- 'Boier' und vaskonisch *ur/ir- 'Stadt' […]

3) germanisches Kompositum baja-baro- 'Lodenträger' (baja- 'schwerer Wollstoff' + Nomen agentis zu *bera- 'tragen' […]

4) lateinisch-germanisches Kompositum *bajulu-varii aus lateinisch baiolus 'Lastträger' + germanisch *warja- […]

Ein wichtiger Schwachpunkt der alternativen Etymologien ist die Tatsache, dass ihr Augenmerk auf dem Erstglied und seinem individuellen Inhalt liegt, weniger dagegen auf dem Zweitglied und der Frage nach dem Namentypus. Damit wird die Frage nach dem Verhältnis zu den anderen Varii-Namen vernachlässigt, obwohl deren Namengeschichte formal mit dem der Bajuwaren vergleichbar verläuft.

Letzte Änderung am 28.06.2020 durch HiWi
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