LegIT

Der volkssprachige Wortschatz der Leges barbarorum

Wörterbuchangabe grafio (DWB)

Wörterbuch Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Leipzig 1854-1961. Quellenverzeichnis Leipzig 1971.
Fundstelle Bd. 8, Sp. 1698-1712
Inhalt

graf, m. die frühesten zeugnisse für das wort liefern, in latinisierter form, merowingische und karolingische quellen vom 6. bis zum frühen 9. jh.: grafio, graphio, graffio, grauio, gravio, grafionus, vgl. lex Salica, sp. 617 Hessels; lex Ripuaria pass.; cap. reg. Franc. 1, 9, 21; 23; 25; 27; 1, 25, 31; dipl. imp. 1, 58, 40 Pertz; dipl. Karolin. 1, 9, 21; 1, 262, 9; script. rer. Langob. 156, 18; script. rer. Merov. 2, 141, 26; 4, 730, 8 u. a.; vereinzelt garafionem (a. sg.) lex Salica 32, 5 (cod. 5; 6). dazu stimmen ahd. krauio (obd. 9. jh.) ahd. gl. 2, 103, 21 St.-S.; graueon (n. pl.) (alem. 8. jh.) ebda 1, 245, 20; afries. grēva und das im älteren nl., nd. u. westl. md. weithin geltende umgelautete grêve, aus dem anord. greifi und dän. schwed. greve entlehnt werden. wenn diese formen somit auf eine jan-bildung schlieszen lassen, so steht daneben, namentlich im obd., nicht umgelautetes, auf einfache an-bildung weisendes ahd. grâvo, mhd. grâve, wozu die kompositionsform gra(f)scaf(t), s. DWB grafschaft. auszerhalb des germ. begegnet das aus dem dt. entlehnte wort namentlich in slaw. sprachen: tschech. hrabie, hrabě; daraus poln. hrabia, obersorb. hrabja, kleinruss. (aus dem poln. entlehnt) hráb'a, hrábl'a. jüngere entlehnungen sind poln. graf, gróf, russ. , kleinruss. weiszruss. hrap, ndsorb. groba, serbokroat. groòf. sloven. gròf; vgl. Berneker slav. etym. wb. 1, 379; Bielfeldt d. dt. lehnwörter im obersorb. (1933) 253; Vasmer russ. etym. wb. 1, 304. die etymologie des wortes ist ungeklärt. zu erwägen ist eine beziehung zu got. gagrêfts 'beschlusz, verordnung' (vgl. Kluge-Götze etym. wb. 15276b), das allerdings das dem dt. graf gleichbedeutende ags. gerēfa unerklärt läszt. das ags. wort erweist sich als eine präfixbildung, deren grundwort zu germ. *rōva, ahd. ruova 'zahl' in einem ablautverhältnis stehen könnte und zu der u. a. Kögel in: zs. f. dt. altertum 33, 23 f. auch ahd. grâvo, grâvio stellen möchte; freilich sind die ahd. formen nicht mit sicherheit als präfixkomposita nachzuweisen. nach einer alten (Vossius 1645), noch immer erwägenswerten deutung, die M. Heyne dt. wb. 1, 1230 und Brøndal substrater og laan (1917) 145 ff. wieder aufnehmen, beruht mlat. graphio auf dem byzant. hoftitel γραφεύς, und das dt. und ags. wort sind daraus entlehnt. beachte: notarius scriuer. scriba idem. scribo idem. graphio idem ahd. gl. 3, 379, 5 St.-S. und anm. in den deutschen mundarten beschränken sich die umgelauteten formen im wesentlichen auf das nd. (vorwiegend greve) und das md. (vorwiegend grebe, grefe, greffe); hier behaupten sie sich namentlich im westen, im hessischen sogar bis in die jüngste zeit hinein; das siebenbürgische hat dementsprechend grêf, vgl. Kisch vergleich. wb. 94b; 96a. auszerhalb dieses gebietes begegnen sie selten: grefe, greffe, greff (obd. 15. jh.) Diefenbach gl. 134c s. v. comes; grefen (Nürnberg 15. jh.) städtechron. 2, 35; ebda 482. die obd. mundarten zeigen von anfang an nicht umlautfähige formen: ahd. crafo, crauo, grauo in glossen seit dem 8. jh., s. unt. 1 b γ; auch das ostfränk. des Tatian hat grauo, s. ebda. in der literatursprache beginnen sich diese formen früh auch im md. gebiet durchzusetzen; vgl. grâbin (:plâgin) Eilhart 3087 Lichtenstein; grâven (: lâge) ebda 5957; grâve Joh. Rothe düring. chron. 261 Liliencron. Luther scheint sie ausschlieszlich zu gebrauchen. in jüngerer zeit dringen sie unter hochsprachlichem einflusz auch in die mundarten des alten grêve-gebietes vor, vgl. grf Kück Lüneburg 1, 602; Woeste westf. 85a; Schmidt-Petersen nordfries. 54a; im rhein. steht hd. grā:f neben mundartl. grō:f u. ä. rhein. wb. 2, 1342. der vokal zeigt in den nicht umgelauteten formen seit frühnhd. zeit die üblichen schwankungen; im schwäb. häufig grauf: grff (St. Gallen 1429) in: dt. rechtswb. 4, 1053; graufe Zimmer. chron. 23, 41, 24 Barack; auch in jüngerer mundart, vgl. Fischer schwäb. 3, 783; ebenso oberpfälz., vgl. Schmeller-Frommann bair. 1, 987. vokaltrübung ist weit verbreitet: grofen Marienburger treszlerb. 485 Joachim; Murner narrenbeschwörung 23 ndr.; groue (1420) Diefenbach nov. gl. 48; grofe (md. 1440), grof (obd. 15. jh.) ders., gl. 134c s. v. comes; sie findet sich weiterhin in fast allen jüngeren mundarten. die im mhd. herrschende form grâve begegnet im 16. jh. noch recht häufig, im 17. jh. dagegen nur noch selten, z. b. Zinkgref apophthegmata (1628) *3a. apokope im nom. sing. kann, vom obd. ausgehend, schon mhd. eintreten: graf Rudolf v. Ems Willehalm 4881 Junck; sie wird aber erst im 15./16. jh. häufiger: graff (1491) Röhricht pilgerreisen (1880) 168; graf Berthold v. Chiemsee theol. 549 Reithm.; (1538) bei Luther br. 8, 248 W.; schriftsprachlich setzt sie sich dann rasch durch. gleichzeitig löst das auslautend regelmäszige f bei flektierter form die stimmhafte spirans auch im inlaut ab: grafen (1302 bair.) in: urk. z. gesch. d. territorialverf. 3, 20 Sander-Spangenberg; Luther 47, 494 W.; ebda 46, 786. vereinzelt steht spätes gravens (gen. sing.) Stoppe Parnasz (1735) 22; 23. die seit dem 15. jh. nachweisbare gemination des inlautenden und auslautenden f ist im 16. jh. sehr häufig und begegnet noch bis zum ende des 17. jhs. der nom. sing. graffe ist nur im älteren nhd. bezeugt, z. b. (Wetterau 1409) weist. (1840) 3, 450; Arigo decameron 73 lit. ver.; nomencl. lat.-germ. in us. schol. (1634) 503. seltener ist grafe, z. b. Seb. Franck sprichw. (1541) 1, 46b; (1544) bei Luther 52, 55 W.; aber auch noch vereinzelt in jüngeren quellen wie Stoppe Parnasz (1735) 1; ebda 13; 16; 209; Immermann w. 4, 62 Hempel. abweichungen von der regelmäszigen flexion des wortes als eines schw. mask. finden sich vor allem im gen. sing., der, in anlehnung an die st. mask., hier und da auf -s endet: gravens Stoppe Parnasz (1735) 22; 23; grafens Reuter Schelmuffsky (vollst.) 16 ndr.; Jean Paul w. 20/23, 204 Hempel. der dat. sing. lautet gelegentlich nur graf, z. b. Klinger Otto 13 dt. lit.-denkm.; der akk. graf steht vor allem bei Zachariä häufiger, z. b. poet. schr. (1763) 2, 96; 99; 101; vgl. H. Paul dt. gramm. 2, 34; 54. vor dem eigennamen bleibt graf, ebenso wie andere titel, oft unflektiert: des edeln graf Heinrich von Swarczburg (1353) urkundenb. d. st. Friedberg 1, 190 Foltz; in graffe Ryols heer Tristrant u. Isalde 130, 13 Pfaff; zu graff Georgen von Zweyenbruck (1521) bei Röhricht pilgerreisen (1880) 386; grave Friderrichen und graf Wolfen (dat. sing.) Zimmer. chron. 23, 527, 26 B.; sampt dem streitbarn helden graff Hansen Schweigger reyszbeschr. (1619) 37; graff Rolanden (dat. sing.) Dietrich v. d. Werder hist. v. ras. Roland (1636) 5; zum graf von Hold zu gehn Zachariä poet. schr. (1763) 2, 99. die geschichte des wortes graf ist hinsichtlich seiner verwendung überwiegend von der sache her, d. h. durch die geschichte des grafenamts und des grafenstandes bestimmt. diese wiederum ist in ihren sehr verwickelten und regional sehr verschiedenartigen verhältnissen für die ältere zeit, besonders bis zum 13. jh., im wesentlichen nur anhand der lat. bezeichnung comes der zeitgenössischen rechtsquellen rekonstruierbar. somit bleibt die ältere geschichte des dt. wortes graf notgedrungen lückenhaft. in sachlicher hinsicht ist auf die rechtsgeschichtliche literatur zu verweisen, besonders H. Brunner dt. rechtsgesch. 2 (21928); Schröder-Künszberg lehrb. d. dt. rechtsgesch. (71932); W. Schlesinger d. entstehung d. landesherrschaft (1941); H. Conrad dt. rechtsgesch. 1 (1954); zu den problemen der jüngsten, wieder in flusz geratenen forschung über die grafeninstitution u. a. v. Guttenberg iudex h. e. comes aut grafio in: festschr. f. E. E. Stengel (1952) 93—123; Th. Mayer in: blätter f. dt. landesgesch. 89 (1952) 87—111.

Letzte Änderung am 29.01.2018 durch V.S.
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