LegIT

Der volkssprachige Wortschatz der Leges barbarorum

Literatur Niederhellmann, Annette: Arzt und Heilkunde in den frümittelalterlichen Leges. Eine wort- und sachkundliche Untersuchung. (ôrscartî, lidiscartî, scardî / LAla B Tit. LX, 3)

Autor Niederhellmann, Annette
Titel Arzt und Heilkunde in den frümittelalterlichen Leges. Eine wort- und sachkundliche Untersuchung.
Weitere bibliographische Angaben Berlin/ New York 1983.
Fundstelle S. 281ff.
Zitat

Die Lexeme scardi, litcardi und orscardi kommen in der Lex Alamannorum (Tit. 57,10 (A), Tit. 60,3 (B)) vor, sowie lidiscart, welches auch in der Lex Baiwariorum (Tit. IV, 14) steht. Alle Varianten bezeichnen Ohrverletzungen, wobei in der Lex Baiwariorum zusätzlich der Aspekt der Entstellung in den Vordergrund rückt. Das Grundwort scardi bereitet keine Deutungsschwierigkeiten, da es sich seit dem Germanischen bis in die Gegenwartssprache (Scharte) erhalten hat. Zu nennen sind mhd. schart(e), ae. sceard, anord. skarđ 'druch Schneiden, Hauen oder Bruch hervorgebrachte Vertiefung oder Öffnung'. Das Lexem ist weiterhin eine Abstraktbildung auf -i zum entsprechenden Adj., welches wiederum zu dazugehörigen Verb mhd. schern, ae. skeran, an. skera 'scheren, schneiden' abgeleitet ist. Als idg. Wurzel ist *(s)ker- 'schneiden' anzusetzen. Das Wort ist weiterhin in mittelalterlichen Rechtstexten weit verbreitet, sodass eine alte Terminologie für Verstümmelung anzunehmen ist. Das Erstglied or- in der Bildung orscardi findet sich hauptsächlich in den B-Handschriften der Lex Alamannorum und ist zu der idg. Wurzel *ōus 'Ohr' zu stellen. Weiter vergleichbar sind got. ausō, ae. eare 'Ohr' zu ahd. ōra, mhd. ōre, was als weitere Spezifikation des Lexems gesehen werden kann. Das Kompositum litscarti bzw. lidiscardi scheint einer oberdeutschen Rechtssprache anzugehören, da es in vielen Varianten in der Bedeutung 'teilweise verstümmelt' auch in anderen Rechtstexten vorkommt. Das Erstglied ist zu ahd. gilid, ae. liþ, got. liþus „Glied, Gelenk“ und idg. *el- 'biegen', mit t-Suffix 'Bezeichnung für ein Körperteil' zu stellen. Singesamt sind Übersetzungen wie „Gliedscharte, Gliedverstümmelung“ oder auch „Gesichtsscharte“ speziell von Schmidt-Wiegand möglich.

Lemmata
  • ôrscartî (Lex Alamannorum)
  • lidiscartî (Lex Baiuvariorum; Lex Alamannorum)
  • scardî (Lex Alamannorum)
  • Werktextstellen
  • LAla B Tit. LX, 3, orscardi