LegIT

Der volkssprachige Wortschatz der Leges barbarorum

Wörterbuchangabe adfatimire (DRW)

Wörterbuch Deutsches Rechtswörterbuch (1914-). Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger. Online-Version.
Fundstelle Bd. 1, Sp. 441-443
Inhalt

adfatimire adfathamire, adfatinnire, affatimire, affatumire, affactumire, acfatmire, hac famirem, afatumiri. Auf Verwechslung beruhen Var. adhramire, adramire, achramire, adframire. Von afrk. v. *fathumjan (ags. fäðmian, an. faðma), umarmen, an die Brust schließen, wie adfatimus von afrk. subst. *fathum (as. faðm, ags. fæðm, an. faðmr), Busen, Schoß, Umarmung. Älteste Wortbedeutung: Annahme an Kindes Statt. Zumal zur Verschaffung eines Kindeserbrechts gegenüber dem Adoptierenden. Das schon damals vielfach nicht mehr verstandene Wort hat sich in der Gelehrtensprache als Bezeichnung für Vergabungen von Todes wegen noch bis tief ins Mittelalter erhalten. Das Geltungsgebiet der Wörter adfatimus und adfatimire beschränkte sich auf das Salfränkische und Ribuarische, aber der Rechtsgebrauch, den sie ursprünglich bezeichneten, war gemeingermanisch. Die Anerkennung der Vaterschaft gegenüber dem Neugeborenen erfolgte dadurch, daß der Vater das Kind auf den Arm nahm und an die Brust schloß. Darum standen die Kinder und die nach dem Tode eines Kindes vom Großvater aufgenommenen Enkel im "Busen" des Aufnehmenden (Ed. Grimov. c. 5: nepotum, qui post mortem patris in sinu avi remanserit ..., pater eorum in sinu avi mortuus) und wurden selber als der "Busen" bezeichnet; auch afrk. *fathum mag diese Nebenbedeutung gehabt haben. Aufnahme der Enkel an die Stelle eines vorverstorbenen Kindes zeigt. Diese Form der Vorberufung der Enkel hat sich in den verschiedensten Rechtsgebieten bis zur Einführung des gesetzlichen Eintrittsrechts erhalten. Eine wirkliche Adoption durch Kindesaufnahme, nicht bloß zu erbrechtlichen Zwecken, vollzog sich, wenn der Vater die von ihm mit seiner Braut erzeugten Kinder bei der Trauung unter seinen Mantel nahm, also in den "Busen" aufnahm ("Mantelkinder"). In der fränkischen Rechtssprache muß auch dieser Vorgang unter den Begriff adfatimire gefallen sein. Die Adoption durch Umarmen, durch Knie- oder Schoßsetzung war gemeingermanisch. Bei den Langobarden adoptio in hereditatem durch thinx oder gairethinx. Bei dem fränkischen adfatimire aber liegt schon nach den ältesten Zeugnissen der Schwerpunkt nicht mehr in der Adoption, die nur noch durch das Wort selbst angedeutet wird, sondern in den sachenrechtlichen Formen der Vermögensübertragung. Jüngere Zeugnisse verlangen selbst eine solche nicht mehr, sondern verwenden das Wort adfatimire auch für einfache, nur einen einzelnen Vermögensgegenstand umfassende Vergabungen von Todes wegen. Die ursprüngliche Bedeutung des Vorganges und des diesen bezeichnenden Wortes waren verlorengegangen.

Letzte Änderung am 08.01.2019 durch Anette Kremer
Link http://www.rzuser.uni-heidelberg.de/~cd2/drw/e/ad/fati/mire/adfatimire.htm
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