LegIT

Der volkssprachige Wortschatz der Leges barbarorum

Literatur Tiefenbach, Heinrich: Quod Paiuvarii dicunt – Das altbairische Wortmaterial der Lex Baiuuariorum. (con-marcanus, conmarcanus, calasneo)

Autor Tiefenbach, Heinrich
Titel Quod Paiuvarii dicunt – Das altbairische Wortmaterial der Lex Baiuuariorum.
Weitere bibliographische Angaben In: Greule, A. u.a. (Hgg.): Die bairische Sprache. Studien zu ihrer Geographie, Grammatik, Lexik und Pragmatik. Regensburg 2004
Fundstelle S. 275
Zitat

Mit dem Suffix lat. -anus wird aus commarca eine Personenbezeichnung gebildet, die volkssprachig als maskuline -(j)an-Bildung ahd. kamarchio 'Grenznachbar' (auch mlat. commarchio) bezeugt ist. In dieser Form besteht Übereinstimmung mit dem Typ der substantivischen Bahuvrīhi mit 'Genossenschaftsbedeutung' (Meid 1967, §§ 38, 55). Basis solcher Bildungen sind Substantive, die die gemeinsam geteilte oder bewirtschaftete Sache bezeichnen, etwa ahd. gisellio zu sal. So kann auch kamarchio aufgefasst werden: jemand, der eine gemeinsame Grenze/ein gemeinsames Gebiet mit einem anderen hat. Im Falle calasneo ist neben dieser -jan-Ableitung für die Person die vorausgehende ga-Präfigierung ebenfalls belegt, wenn auch nur latinisiert in der Pertinenzformel einer Freisinger Urkunde von a. 827: quicquid in eis proprii habere visus sum in silvis pratis ... in omnibus calasnis et in terminis (Bitterauf 1905, Nr. 550a). Der Dativ Plural lässt offen, welches Genus genau vorliegt (Prinz/Schneider/Payr/Dinter 1999, II, 54). Die Basis -lasn- wird somit Substantiv sein, offensichtlich eine bindevokallose Bildung mit einem n-Suffix. Sieht man las als deren Ausgangspunkt an, so wird es am einfachsten als ablautend zu les-an 'lesen, sammeln' gestellt werden können. Einschlägige Bildungen von starken Verben finden sich bei den femininen -ni-Suffigierungen (Wilmanns 1899, § 237; Meid 1967, § 98), die Verbalabstrakta zum Ausdruck bringen und weiter unten (Kapitel VI) noch bei zahlreichen von schwachen Verben abgeleiteten Abstrakta vorzuführen sind. Somit handelt es sich bei *ga-las-ni- um ein Abstraktum, wahrscheinlich, ähnlich wie die gemeingermanische Bildungsparallele got. sōkns 'Untersuchung' um ein Rechtswort, das das 'Recht zum Sammeln' bezeichnet. Der calasneo ist der, der an dem Recht des Sammelns Anteil hat. In Titel XXII der Lex ist von der Nutzung des Waldes die Rede, so dass an das Sammeln von Früchten und Beeren zu denken ist. Dem an diesem Recht Beteiligten kann schwerlich der Vogelfang verwehrt werden. Doch ist er nicht der commarcanus schlechthin, der dieses Recht hat, sondern nur der, quem calasneo dicimus.

Lemmata
  • con-marcanus, conmarcanus (Lex Baiuvariorum)
  • calasneo (Lex Baiuvariorum)