LegIT

Der volkssprachige Wortschatz der Leges barbarorum

Literatur Niederhellmann, Annette: Arzt und Heilkunde in den frümittelalterlichen Leges. Eine wort- und sachkundliche Untersuchung. (gasferit, wiradardi, alacharde)

Autor Niederhellmann, Annette
Titel Arzt und Heilkunde in den frümittelalterlichen Leges. Eine wort- und sachkundliche Untersuchung.
Weitere bibliographische Angaben Berlin/ New York 1983.
Fundstelle S. 150ff und. S. 88f.
Zitat

In den salfränkischen Rechten (PLS (Tit. 29,17) /Lex Salica (Tit. 48,14/ HS D)) stehen die Glossen mallobergo gaferit sunt, A2 gasferit, C6 uuirodarde, H10 uuiradardi, D7/9 uuidardi für die Verletzung des männlichen Gliedes mit Folge der Lähmung (Impotenz). Für den Fall des totalen Verlustes des Glieds stehen in C6 alatharde, H10 alacharde. Die Glosse gaferit ist wohl eine Partizip-Prät. Form zu einem salfränkischen Verb mit der Bedeutung 'kastrieren': *gafeurith, wobei –u- und –h- ausfielen. Die Glosse uuirodarde besteht aus dem Erstglied *wer 'Mann', idg. *ui-ro-s, uiro-s. Das Zweitglied ist ein di-Derivat zu ahd. taren, daron, taron, sw.V. 'verletzen, Leid zufügen, schaden', ingesamt also 'Verletzung des Mannes'. Die dritte malbergische Glosse ist alacharde und beinhaltet als Erstglied ala- 'ganz, vollständig', das Zweitglied ist eine Bezeichnung für den Penis, gemeint ist salfränkisch *charde zu ahd. gerta, kerta, gard(e)a, gartja, kertja, garde st.sw.f. 'Rute, Zweig, Stock, Stab, Zepter', ae. geard 'Hof, Hecke', nl. gard 'Rute, Gerte', ne. yard 'Hof'. Hierbei geht es um den vollständigen Verlust/das Abschlagen des Gliedes.

Die alemannische Glosse erfurit (Lex Alamannorum Tit. 65,31, HS B9) ist einem Artikel zur Impotenz beigefügt und ein Part.-II zu einem im althochdeutschen bekannten Verb arfiuren, furen, arfûrjan, fûran, arfiuren, sw. V. zu idg. *pēu-:, *pəu: 'schlagen; scharf, schneidend hauen'. Dazu ahd. ūrfūr 'Verschnittener', ae. fȳran 'verschneiden', mnl. vūren. Verstärkt durch das Präfix ur-, ar- bzw. abgeschwächt er- mit der Bedeutung u.a. 'aus, hinaus, dem Ende zu'.

Auch die Kastration von Tieren ohne das Wissen der Eigentümer war illegal und ist im PLS (Tit. 38,12), Pactus legis Alamannorum (Tit. 40,1) und den Leges Visigothum (Tit. VIII, 4,4) belegt. Die malbergische Glosse des PLS lautet dazu andechabina, bei der es um die Kastration eines Deckhengstes geht. Die letztgenannte Glosse kommt auch im Kontext für Mehrkosten für die Heilbehandlung vor, also an völlig anderer Stelle. Ein möglicher Anschluss ist hier (m)nl. (hand)havenen 'kurieren', ahd. hebinon 'be-handeln'. Die zugehörige indogermanische Wurzel ist *kap- 'fassen', wozu auch lat. capio, got./ahd. hafjan, germ. *hafja 'halten, fassen, greifen' zu stellen sind. Möglich ist aber vielleicht auch eine Substantivform *handhabinus zu *handhabinon.

Lemmata
  • gasferit
  • wiradardi
  • alacharde